Dass nur etwa jeder zweite Oststeinbeker zur Wahl geht, konnte Gerd Bülow nie verstehen. „Für das Wahlrecht haben unsere Vorfahren gekämpft!“, schmetterte es oft aus den Lautsprechern im Rathaussaal, wenn der frühere Bürgervorsteher mit seiner durchdringenden Stimme zu Beginn von Sitzungen seinen Mitbürgern ins Gewissen redete. Für den Kommunalpolitiker alter Schule gehörte es zu den Bürgerpflichten, alle fünf Jahre seine Stimme bei der Gemeinderatswahl abzugeben, und mancher Zuhörer fühlte sich ein wenig schuldig nach diesen Standpauken.
Routiniert, souverän und leidenschaftlich leitete Gerd Bülow über viele Jahre die Sitzungen der Gemeindevertretung. Dabei machte er aus seiner eigenen starken Meinung keinen Hehl, wahrte jedoch stets die Neutralität seines Amtes. Auch wenn an seiner Autorität keiner zweifeln musste, verlieh er ihr bei Ordnungsrufen oder zum Schluss der Sitzungen gern mit einem gavel Nachdruck: dieser kleine silberne Richterhammer war ein Geschenk seines Amtskollegen aus der Partnergemeinde Caddington. Ein sympathischer Spleen, der ihn sicher auch an seine Tätigkeit als junger Amtsrichter erinnerte.
Ohnehin schwelgte Gerd Bülow gern in Erinnerungen über seine Anfänge in Oststeinbek und ließ andere daran teilhaben. Viel zu erzählen hatte er ja, aus über 50 Jahren erlebter Ortsgeschichte. Wer einen seiner Vorträge über das alte Oststeinbek besucht hatte, bekam einen interessanten Einblick in die Entwicklung vom kleinen Dorf ohne Infrastruktur zum modernen Ort. Dass auch sein privater Lebensweg – ganz besonders betonte er dabei stets die Gemeinsamkeit mit seiner Frau – immer eine große Rolle spielte, gehörte dazu. Gerd Bülow hatte fast die gesamte Entwicklung des heutigen Ortes und seiner Einrichtungen persönlich miterlebt. Besonders am Herzen lagen ihm die Vereine einschließlich der Feuerwehr, die er als die „Seele Oststeinbeks“ bezeichnete und für die er sich einsetzte.
Energisch vertrat Gerd Bülow die Interessen des Ortes und seiner Gemeindevertretung auch in der Bürgermeister-Krise 2011. In dieser Zeit prägte er den (lustigerweise auch vom Denecke-Fanclub) vielzitierten Ausspruch: „Oststeinbek sind wir alle“ – eine prägnante, soziologisch, politisch und rechtlich zutreffende Zusammenfassung der Grundlagen des kommunalen Gemeinwesens, das in dieser Zeit besonders litt. Ob der zermürbende Disput mit der Bürgermeisterin der einzige Grund für seinen Rücktritt war, bleibt Gerd Bülows Geheimnis.
Sich am Ende einer langen kommunalpolitischen Karriere noch mit früheren Mitstreitern zu überwerfen ist etwas, das man niemandem wünscht. Nur allzu menschlich ist es aber, dass der Rückzug aus Verantwortung nicht leichtfällt, wenn man jahrzehntelang an der Spitze stand.
Wir nehmen Abschied von einem engagierten Verfechter der kommunalen Selbstverwaltung, der die Oststeinbeker Politik jahrzehntelang positiv geprägt hat. Wir werden ihn in guter Erinnerung behalten. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.
SPD-Fraktion Oststeinbek
Christian Höft